Interview zu den Folgen der Corona-Krise
Vivian Viacava Galaz vom Tagblatt-Anzeiger sprach mit Lisa Paul und Micha Schöller vom Tübinger Verein „Frauen helfen Frauen“ über die Folgen der Corona-Krise für ihre Arbeit.
Lisa Paul (links) und Micha Schöller arbeiten im Verein „Frauen helfen Frauen“ für die Opfer häuslicher Gewalt. Bild: Vivian Viacava Galaz
Registrieren Sie als Folge der Corona-Krise einen Anstieg der häuslichen Gewalt in Tübingen?
Micha Schöller: In den vergangenen Jahren ist der Bedarf an Beratung im Bereich häusliche und sexualisierte Gewalt immer mehr gestiegen. Da die Beratungskapazitäten daher sowieso schon voll ausgeschöpft sind, können wir keinen Anstieg im Zusammenhang mit der Corona Pandemie erfassen. Häufig melden sich betroffene Frauen nicht direkt nach der Eskalation. Wir gehen davon aus, dass es für die betroffenen Frauen im Moment schwierig ist, bei uns anzurufen, weil ihre gewalttätigen Männer ja auch Zuhause sind. Wenn die Frauen uns nicht erreichen, können wir sie auch nicht zurückrufen, da wir sie damit gefährden könnten.
Gibt es für Frauen, die mit Ihnen kommunizieren wollen, Alternativen zum Telefon?
Lisa Paul: Ja, wir bieten auch E-Mail-Beratung an. Frauen können uns per Mail kontaktieren, wenn sie unbeobachtet sind.
Was verstehen Sie unter häuslicher Gewalt?
Lisa Paul: Häusliche Gewalt kann unterschiedliche Formen haben: neben körperlicher Gewalt leiden Frauen häufig auch unter psychischer, sexualisierter, ökonomischer und struktureller Gewalt.
Was können Frauen und Kinder tun, wenn sie von häuslicher Gewalt bedroht sind?
Lisa Paul: Sie können sich telefonisch bei uns melden. Wenn es einen freien Platz im Frauenhaus gibt, können wir ihnen einen Platz anbieten. Wir haben ein Frauenhaus mit 20 Plätzen - acht Plätze für Frauen und zwölf Plätze für Kinder. Mit unserer Interventionsstelle Häusliche Gewalt unterstützen wir zudem Frauen, deren gewalttätige Männer nach einem Polizeieinsatz die gemeinsame Wohnung verlassen müssen.
Wie können Kinder, die in Quarantäne leben, vor sexueller Gewalt fliehen, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind?
Micha Schöller: Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung von Erwachsenen, um Hilfe zu bekommen. Wichtig ist, dass Bezugspersonen, wie beispielsweise pädagogische Fachkräfte, nach wie vor Kontaktmöglichkeiten für die Kinder bieten. Eine Möglichkeit für Kinder ist das Hilfetelefon sexueller Missbrauch unter der Nummer 0800 / 2 25 55 30. Der Anruf ist kostenfrei und die Kinder können sich anonym beraten lassen.
Welche Unterstützung braucht Ihr Verein, um Frauen und Kindern besser helfen zu können?
Lisa Paul: Wir brauchen finanzielle Unterstützung, um im Bedarfsfall zusätzliche Wohnungen anzumieten und auch um die personellen Kapazitäten zu erhöhen.
Micha Schöller: Wir brauchen eine Aufstockung von Kapazitäten in der telefonischen Beratung, damit betroffene Frauen uns besser erreichen können.
Meldung vom 07.07.2020