Vereinsgeschichte
Im März 1980 schließen sich engagierte Frauen* aus der Tübinger Frauenbewegung zu einer Initiative zusammen. Sie wollen auch in Tübingen ein Autonomes Frauenhaus. Sie erstellen eine Konzeption und Satzung und gründen im Juni 1980 den Verein „Frauen helfen Frauen e.V.“
Ab November 1980 gibt es ein Notruftelefon, das von ehrenamtlich tätigen Frauen* abgedeckt wird und sofort viel genutzt ist. Die Frauen* stellen einen Antrag an die Stadt Tübingen für ein mietfreies Haus, Personal- und Sachkosten, sie beantragen nicht – sie fordern!
Aufgrund des feministischen Ansatzes (Selbstverwaltung, Autonomie, parteiliche Hilfe und Unterstützung) lehnen Stadt und Kreis die Trägerschaft des Vereins ab und gründen selbst den gemischten Trägerverein Frauenhaus e.V.
Hauskauf und Eröffnung 1982
Dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit bilden viele Frauen* und Männer* eine Tilgungsleihgemeinschaft – der Frauenhauskauf kann 1982 realisiert werden.
Schon zwei Monate später, am 1. April 1982, ist die Eröffnung und die ersten Frauen und Kinder ziehen ein. Zeitgleich dazu eröffnet das „städtische“ Frauenhaus mit dem Konzept mehrerer Schutzwohnungen.
Die Arbeit im autonomen Frauenhaus wird zunächst von einer ABM-Kraft und mit ehrenamtlich tätigen Frauen* geleistet. Die Öffentlichkeitsarbeit wird zu einem wichtigen Bestandteil der Frauenhausarbeit. Daraus resultieren jährliche Zuschüsse von Stadt und Kreis Tübingen. Dennoch muss der Verein sich bis heute zusätzlich über Sonderanträge und Spenden finanzieren.
Die zukünftigen Bewohnerinnen des Frauenhauses sollen ihr Leben im Haus möglichst selbst bestimmen, so will der Verein auch im Außen autonom sein, während im Innern die Erfahrungen mit professioneller Selbsthilfe beginnen.
Jahre des Umbaus des Frauenhauses (erbaut 1480) folgen – Planung, Drittmittelaquise, Auszug aus dem Frauenhaus, Umbaubegleitung, Wiedereinzug. 1989 eröffnet der Verein in Bürogemeinschaft mit tima e.V. und dem Frauennotruf ein externes Beratungs-Büro in der Brunnenstraße, die Frauenbereichs-Mitarbeiterinnen* beraten hier „extern“ Frauen* in Misshandlungsbeziehungen.
1990er mit Herausforderungen gespickt
1993 erfolgt ein kompletter Teamwechsel. In den folgenden Jahren beschäftigt sich der Verein mit der Fragestellung, ob weiterhin in einem geschäftsführenden Team gearbeitet wird oder ob eine Geschäftsleitung installiert wird? Welche Rolle spielt darin der Vorstand?
Jahrelang arbeiten die vier Mitarbeiterinnen* paritätisch im Frauenbereich und Mädchen*- und Jungen*bereich. Nach Finanzkürzungen muss 1996 auf drei Mitarbeiterinnen* reduziert werden. Vergewaltigung in der Ehe wird Ende 1997 ein Straftatbestand, unser Verein ist hier an vielen Aktionen beteiligt.
Jahrtausendwechsel mit vielen Gründungen
1999 treffen sich Vertreterinnen* der Frauen*projekte, Gemeinderätinnen*, die Frauenbeauftragte und interessierte Bürgerinnen* in Bad Boll zu einem Vernetzungstreffen. Hier entsteht die Idee, Freiräume für Mädchen* und Frauen* in Tübingen zu schaffen, was 2001 zur Gründung des Vereins Frauenprojektehaus e.V. führt.
Ebenfalls 2001: Gründung des Offenen Treffs, ein niederschwelliges Angebot zum Austausch für derzeitige und ehemalige Frauenhausbewohnerinnen und ihre Kinder sowie Frauen* aus den Beratungsstellen. Hier findet auch nachgehende Beratung statt.
Aus dem Modellversuch zum Platzverweis 1999/2000 entwickelt sich ein konstanter Bedarf an Beratung und Begleitung. 2002 wird das Gewaltschutzgesetz verabschiedet, das neben dem Näherungs- und Kontaktverbot auch die Zuweisung der gemeinsamen Wohnung für die Frau* zur alleinigen Nutzung ermöglicht. So entschließt sich der Verein Anfang 2002, über Sonderanträge und einen ABM-Antrag eine Beratungsstelle aufzubauen. Diese wird im Dezember 2002 in der Albrechtstraße eröffnet.
2002 Telekom veröffentlicht unsere Adresse
Im April 2002 erfahren wir, dass die Telekom die anonyme Frauenhausadresse in Telefonbüchern und im Internet veröffentlicht hat! Die Frauenhausbewohnerinnen müssen zu ihrer Sicherheit in andere Frauenhäuser umziehen. Wir beginnen einen langwierigen Rechtsstreit mit der Telekom. Über die Stadt Tübingen können wir Übergangswohnungen anmieten, versuchen, unser Haus zu verkaufen und ein neues Haus zu erwerben.
Im Dezember 2003 endet unser Rechtsstreit mit der Telekom mit einem Vergleich vor dem Landgericht Tübingen: Die Telekom muss öffentlich zugeben, dass sie keinen Datenschutz garantieren kann.
Anfang 2004 wird seitens der Stadt zum gemeinsamen Treffen mit dem Verein Frauenhaus e.V. geladen, um mögliche Synergieeffekte zu prüfen. Die Stadt nimmt die Tatsache, dass wir kein eigenes Haus haben und in Übergangswohnungen arbeiten zum Anlass, die Existenz von zwei Frauenhäusern in Tübingen zu prüfen.
2005 beziehen wir ein neues Haus
Im Juli 2004 verkaufen wir unser altes Frauenhaus an die Beginenstiftung und unterschreiben den Kaufvertrag für ein neues, größeres Haus im Landkreis Tübingen. Mit Einzug ins neue Frauenhaus im Mai 2005 beginnt eine Umzugswelle. Im Juli zieht die Beratungsstelle mit zahlreichen Frauen-* und Mädchen*projekten ins neue Tübinger Frauenprojektehaus ein.
Protest gegen Tagessatz-Finanzierung erfolglos
Im Oktober 2005 beginnen die Verhandlungen mit dem Landkreis über eine Tagessatz-Finanzierung für die Bewohnerinnen des Frauenhauses. Fast alle Frauenhäuser in Baden-Württemberg werden trotz vielfachen Protests auf eine Tagessatz-Finanzierung umgestellt. Im Zuge dieser Finanzierungsumstellung von Zuschüssen auf Tagessätze und im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Reorganisation der Antigewalt-Arbeit sagt die Stadt Tübingen die Finanzierung unserer Beratungsstelle zu.
2005 wird am Runden Tisch T.I.P. intensiv um das Konzept einer Koordinierungsstelle Platzverweis und der möglichen Trägerschaft debattiert. Kann die Koordinierungsstelle parteiliche Arbeit für Frauen* machen oder braucht es „neutrale“ Beratung, die aber geschlechterreflektiert ist? Wir bewerben uns um die Trägerschaft. Stadt und Landkreis bewilligen gemeinsam eine 50%-Stelle für die Koordinierungsaufgaben im Platzverweis-Verfahren.
2006 Koordinierungsstelle Platzverweis startet
Im Januar 2006 startet die Koordinierungsstelle Platzverweis. Seit 2009 heißt sie Interventionsstelle Häusliche Gewalt. Endlich kann die Arbeit vieler beteiligter Institutionen im Wohnungsverweis koordiniert und für die Betroffenen durchschaubar gestaltet werden.
In der Beratungsstelle und Interventionsstelle Häusliche Gewalt, ebenso wie im Frauenhaus, zeigt sich immer mehr, dass Frauen in unterschiedlichsten Misshandlungsstrukturen unterschiedliche Beratungs- und Unterstützungsbedarfe haben.
Unsere drei Bereiche können dem nun gerechter werden: von der Notaufnahme im Frauenhaus über die Krisenintervention bei Zwangsverheiratung, von der langfristigen Begleitung bei Stalking wie der zeitnahen aufsuchenden Beratung beim Wohnungsverweis bieten wir Frauen* Beratung und Begleitung bei verschiedenen Formen von physischer und psychischer Gewalt an.
Bei einer Organisationsberatung 2008 entscheiden wir uns erneut für das Modell geschäftsführendes Team mit je zwei Frauen* in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen und Verein/ Verwaltung. Trotz gegenläufigem Trend hin zur Geschäftsführung in Projekten arbeiten wir nach wie vor gerne antihierarchisch zusammen!
Ehrenamtsgruppe organisiert Telefonbereitschaft
Auch unsere pädagogischen Schwerpunkte sind im Fluss: Die Mädchen*gruppe im Frauenhaus wird mit der Jungen*gruppe ergänzt. Der Verein Pfunzkerle bietet diese für Jungen* aus dem Frauenhaus an und übernimmt im Sommer 2009 die Erstberatung von Tätern nach Wohnungsverweis. Im Frauenhaus baut sich eine Ehrenamtsgruppe auf, die die Telefonbereitschaft am Wochenende organisiert.
Ab 2010 setzt die Beratungsstelle einen Schwerpunkt in der Beratung für gewaltbetroffene Frauen* mit Behinderungen/ Beeinträchtigungen.
2013 sind wir aktiv an der Erstellung des Landesaktionsplans gegen Gewalt gegen Frauen* des Landes Baden-Württemberg beteiligt.
2014 wird das Autonome Frauenhaus umgebaut.
2015 Eröffnung der Beratungsstelle Sexualisierte Gewalt
Im Juli 2015 wird unsere dritte Beratungsstelle eröffnet. Die Beratungsstelle Sexualisierte Gewalt ist in Trägergemeinschaft mit Pfunzkerle e.V., d.h. eine Beratungsstelle an zwei Standorten.
2017 gibt sich die Beratungsstelle Sexualisierte Gewalt ein neues Gesicht: AGIT (Anlaufstelle Sexualisierte Gewalt in Tübingen für Frauen*Männer). Gleichzeitig wird in Kooperation mit der Stadt und vielen Gastrobetrieben eine neue Kampagne gestartet: „Arbeitet Uli heute?“, ein Projekt gegen sexualisierte Gewalt, Rassismus und Diskriminierung im Tübinger Nachtleben.
2017 ratifiziert Deutschland die Istanbul-Konvention. Diese verfolgt unter anderem die Ziele, Betroffene vor Gewalt zu schützen, einen Beitrag zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen* zu leisten und mit umfassenden Maßnahmen den Rahmen für die Gewährleistung von Schutz und Unterstützung der Betroffenen sowie der Strafverfolgung von Täter*innen zu schaffen.
Im Herbst 2018 müssen wir in Verhandlungen gehen: Sowohl die Beratungsstelle Häusliche Gewalt als auch AGIT sollen vom Landkreis mitfinanziert werden. Der Landkreis steigt in die Finanzierung der Beratungsstelle Häusliche Gewalt ein. AGIT wird ab 2020 von der Stadt Tübingen finanziert.
Second-Stage bietet nachgehende Beratung
Seit 2019 läuft das Second-Stage Projekt im Frauenhaus für drei Jahre und ermöglicht die Weiterentwicklung der nachgehenden Beratung ehemaliger Bewohnerinnen.
2020 soll eigentlich ein Festjahr werden: 40 Jahre Frauen helfen Frauen e.V. Tübingen! Es ist eine bunte Veranstaltungsreihe mit vielen aktuellen Themen geplant. Aufgrund der Pandemie verschieben wir unser Jubiläum schweren Herzens auf 2021.